Standardwerk Wilhelm Schulze

Die Dorfschmiede in Römstedt war seit 1749 im Besitz der Familie Schulze. Die Landschmiedemeister waren für Herstellung und Reparatur aller Gegenstände aus Schmiedeeisen zuständig. 

Der Schmiedemeister Johann Heinrich Christoph Schulze übernahm die Schmiede im Jahr 1860. Er baute in größerem Umfang Kutschen und stellte Kartoffelrodemaschinen, Göpel und Rübenschneider her. Der Produktionsumfang der Römstedter Schmiede wuchs so stark an, dass zwischen 1872 und 1878 wiederholt Erweiterungen der Werkstatt durchgeführt werden mussten.

Sohn Wilhelm Schulze erlernte bei seinem Vater das Schmiedehandwerk, bevor er ein zweijähriges Technikum in Holzminden absolvierte. Zurück auf dem väterlichen Betrieb beginnt Wilhelm Schulze mit der Konstruktion seiner ersten Dreschmaschine. Da er keine Drehbank besaß, musste er viele Teile von einer Eisengießerei anfertigen lassen. Die Maschine wurde auf Rädern von Pferden zum Einsatzort gezogen. Da es damals für so eine Maschine noch keine Käufer gab, fuhr Schulze selbst als Lohndrescher von Dorf zu Dorf, um auf den Höfen jeweils ein bis drei Tage zu dreschen, bis er diese Maschine nach etwa zehn Jahren verkaufen konnte.

1885 nahm die Schmiede auch die Herstellung von Häckselmaschinen auf. Ein Jahr später wurde durch den Abbruch einiger Gebäude Raum für den Neubau einer Maschinenwerkstatt geschaffen. Dieser Neubau war die erste kleine Maschinenfabrik. Im Erdgeschoss befanden sich Schlosserei, Dreherei und eine Dampfmaschine.  Sein Vater bot ihm die Teilhabe am Geschäft an und zusammen fuhren sie zum Amtsgericht und ließen dort die Firma eintragen: Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen und Geräthe J. Schulze und Sohn ". Im Jahr 1887 legte Wilhelm Schulze die Meisterprüfung ab.

1889 wurde in Römstedt die erste "Dampfdreschmaschine" entwickelt und gebaut. Die Produktion von Drillmaschinen, Pferderechen, Rübenschneidern und verschiedenen anderen Geräten wurde im Jahr 1894 aufgenommen, Produktiionsschwerpunkt blieb aber der Dreschmaschinenbau. Der Betrieb in Römstedt ist zu klein, er eignet sich nicht für die Serienproduktion. In Bevensen findet Schulze ein passendes Grundstück direkt an den Schienen. 1898 nimmt die Bevenser Maschinenfabrik ihre Produktion auf. Wilhelm's Vater starb 1898 und erlebte den Umzug nach Bevensen nicht mehr. 

Die Firma wächst schnell. Schulze trifft geschickte taktische Entscheidungen. Es kommen die ersten Verbrennungsmotoren auf den Markt. Die Bevenser Fabrik arbeitet ab 1902 mit dem Marktführer Deutz aus Köln zusammen. Die Motoren aus Köln wurden nach Bevensen geliefert, dort komplettiert und oft zusammen mit Dreschmaschinen versandt.

Doch das Wachstum hat eine Kehrseite. Dem erfolgreichen Fabrikbesitzer fehlt das Kapital. Die Rückzahlung eines kurzfristigen Kredites macht dies deutlich. Schulze nimmt einen stillen Teilhaber auf. Auf Betreiben des stillen Teilhabers und weil ein weiterer Interessent beitreten wollten, wurde nach langen Verhandlungen eine GmbH gegründet, die bald darauf in eine A. G. umgewandelt wurde. Ein Teilhaber versuchte nach mehreren Auseinandersetzungen Wilhelm Schulze aus der Firma zu drängen. Nach weiteren Diskrepanzen ließ Schulze sich im Jahr 1909 auszahlen und verließ den Familienbetrieb, der als Bevenser Maschinenfabrik (BMF) A. G. weitergeführt wurde. 

Der Vertrag zwischen Wilhelm Schulze und seinen ehemaligen Teilhabern in Bevensen verpflichtete ihn, nur außerhalb einer 75 km-Grenze um Bevensen eine Firmenneugründung zu betreiben. Nach längerem Suchen übern W. Schulze 1909 in Hannover die Gebäude des "Standardwerkes" - einer insolventen Haushaltsgerätefabrik. Zuvor hat er sich versichert, dass seine Meister und Altgesellen aus Bevensen folgen. Mit ihnen startet er eine neue Produktion und ist, erfolgreicher denn je. 

Im Jahre 1913 war die Anzahl der Dreschmaschinenaufträge so groß, dass in Langenhagen bei Hannover ein zweites Werk dazugepachtet werden musste. Allein im Jahr vor dem Ersten Weltkrieg werden 1000 Dreschmaschinen produziert. Schulze beschäftigt 230 Arbeiter und Angestellte.

Die Bevenser Maschinenfabrik A. G. hatte in den Jahren nach dem Ausscheiden von Wilhelm Schulze sen. mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Durch schlechte Fabrikation und viele Reklamationen an den gelieferten Maschinen war die Firma im Jahr 1913 konkursreif. Um es aber nicht zu einem Zusammenbruch kommen zu lassen, boten die Gesellschafter Wilhelm Schulze die Leitung und das halbe Aktienkapital an. Schulze nach das Angebot an, gleichzeitig gab er sein Patent für den einteiligen Schüttler zur Mitbenutzung an die Bevenser Maschinenfabrik AG. Im Oktober 1913 übernahm Wilhelm Schulze neben dem Betrieb in Hannover auch wieder die Leitung der Bevenser Maschinenfabrik AG.

In den folgenden Jahren hatte Schulze eine Doppelbelastung mit der Leitung der beiden Firmen, bis sein Sohn Wilhelm Schulze jun. 1922 die Leitung des Standardwerkes in Hannover übernahm. Zusammen mit seinem Schwager Richard Schlie führte er die Firma erfolgreich, stets jedoch unter Mitwirkung des Seniors Wilhelm Schulze. 

Die Herstellung von Dreschmaschinen lief bis 1939 ungestört. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt der Betrieb verschiedene kriegsbedingte Zusatzaufgaben. Die Fertigung von Dreschmaschinen lief parallel in beiden Betrieben bis zum Kriegsende weiter. Nach 1943 wurde der Betrieb in Hannover mehrfach durch Bomben beschädigt, bis er dann im Januar 1945 durch zahlreiche Brand- und Sprengbomben total zerstört wurde. Wilhelm Schulze jun. erlag den bei diesem Angriff erlittenen Verletzungen. In den letzten Tagen des Kreiges kam auch Richard Schlie ums Leben. Damit war die Leitung des hannoverschen Betriebes ausgefallen, und die Gesamtleitung beider Betriebe oblag wieder Wilhelm Schulze sen., der bereits im 84. Lebensjahr stand. Die Gebäude des Standardwerkes in Hannover wurden in den Jahren bis 1948 zum Teil wiedererrichtet. 

Als ab etwa 1953 vermehrt Mähdrescher hergestellt wurden und die Nachfrage nach Dreschmaschinen zurückging, wurde das Werk in Hannover verkauft und die Fertigung komplett zurück nach Bevensen verlagert.

1976 wurden Werk und Vertrieb zusammengelegt und in "Standardvertrieb J. Schulze GmbH & Co. KG Bad Bevensen" umbenannt. 1966 bis 1976 wurden entbehrliche Fabrikgebäude verkauft. 1978 entschlossen sich die Gesellschafter, die Firma zu verkaufen. Heinz Schnitzker aus Herzebrock übernahm die Firma unter dem Namen "Standard Landmaschinen GmbH". Heute entstehen in der ehemaligen Bevenser Maschfinenfabrik aber vor allem Förderanlagen für Industriebetriebe.